Kompensation für Gründer:innen von Genossenschaften
Ansätze für eine faire Vergütung für die Aufbauarbeit der Erstmitglieder von Genossenschaften.
28.02.2025 – Lila Nettsträter bot auf dem CoopCamp in Berlin eine Session zum Thema "Faire Vergütung - Wie können Gründer:innen von Genossenschaften kompensiert werden?" an. Nach der Vorstellung der Ergebnisse ihrer Masterarbeit zu diesem Thema ging es in den interaktiven Austausch zu Erfahrungen aus der Praxis sowie den bestehenden Lösungen und Lücken.

"Wenn wir Genossenschaften als Ausdruck kollektiver Intelligenz verstehen, bin ich überzeugt: Wir können selbstverwaltete und solidarische Lösungen für den blinden Fleck der Gründungskompensation finden."
Gründungskompensation für Genossenschaften - Session auf dem CoopCamp Berlin 2025
Hintergrund
Eine Gründung bedeutet viel Einsatz der Gründungsgruppe: Zeit, Arbeit, Geld, Verantwortung und Fürsorge. Während bei Rechtsformen wie der GmbH diese Gründungsinvestition der Gründer*innen oft über Eigentum oder erhöhtes Stimmrecht kompensiert wird, bleibt das Thema in Genossenschaften – die auf Gemeineigentum und Kopfstimmrecht setzen – häufig ein blinder Fleck. Wie lässt sich eine faire Kompensation gestalten, ohne die Prinzipien der Genossenschaft zu verwässern?
Bei der Befragung von sieben Produktivgenossenschaften zeigte sich, dass viele Personen, die einen Gründungsprozess durchlaufen haben, rückblickend Schwierigkeiten mit der fehlenden Anerkennung ihrer Investitionen hatten. Mehrere Befragte empfehlen daher, sämtliche Investitionen – insbesondere Arbeitsstunden – der Gründungsmitglieder systematisch zu dokumentieren, selbst wenn diese zunächst nicht vergütet werden können. Eine mögliche Lösung besteht darin, in der Satzung festzuhalten, dass bei künftigen Gewinnen ein Teil davon in einen Fonds fließt, aus dem die dokumentierten Stunden rückwirkend ausgezahlt werden können. Erkenntnis: Gründungsinvestition ist primär durch Zeit, Humankapital, Sozialkapital und symbolische Ressourcen geprägt.
In der Praxis überwiegt immaterielle Vergütung (Sinnstiftung, ideelle Identifikation, kollektive Zielverwirklichung). Materielle Vergütungen sind selten, wenn überhaupt punktuell und niedrigschwellig vorhanden (z. B. Aufwandsentschädigung, nicht dokumentierter Rückfluss). Mismatch zwischen Bedarf und tatsächlicher Kompensation: Gründende äußern klare Bedarfe an Transparenz, Nachvollziehbarkeit und strukturell verankerter Würdigung/Vergütung ihrer Investition. Bestehende Literatur unterschätzt die Diversität und praktische Relevanz immaterieller Vergütung.
Implikationen: Es besteht ein hoher Entwicklungsbedarf für strukturintegrierte, prinzipienkonforme Vergütungsoptionen und die dazu passende weiterentwicklung der Unternehmensultur, die sowohl individuelle Bedarfe als auch genossenschaftliche Prinzipien berücksichtigen. Ziel ist die Senkung von Gründungsbarrieren einer (Produktiv-)Genossenschaft.
Lilas Motivation
Clemens Schimmele kommt in seiner Studie über Produktivgenossenschaften „Zur Organisationen demokratischer Unternehmen“ (2019) zu dem Schluss, dass genossenschaftliche Gründungen stark auf die Philanthropie der Gründer*innen angewiesen sind. Ich finde, das sollte nicht so bleiben. Wenn wir Genossenschaften als Ausdruck kollektiver Intelligenz verstehen, bin ich überzeugt: Wir können selbstverwaltete und solidarische Lösungen für diesen blinden Fleck finden.
Highlights aus der Session
Die CoopCamp-Community war wie immer sehr lösungsorientiert – wir hätten direkt mit einem Hackathon weitermachen können. Es wurde deutlich, wie groß das Bedürfnis nach prinzipienkonformer Kompensation und Transparenz im Umgang mit den (oft unsichtbaren) Investitionen von Gründer*innen ist. Besonders wichtig war die Diskussion rund um das Selbstverständnis, dass gesellschaftliches Engagement automatisch ehrenamtlich sei. Viele äußerten Interesse am Gründen, gaben aber an, sich das ohne finanzielle Absicherung oder mindestens einer Krankenversicherung nicht leisten zu können. Das CoopCamp ist für mich eine Möglichkeit Schwarmintelligenz und Kooperation fühlen zu können.
Lücken, Potenziale und nächste Schritte
- Eine Sammlung von Best-Practice-Beispielen
- Drei Roundtables mit Wirtschaftsprüferinnen und Praktikerinnen, um Mustersatzungsabschnitte zu entwickeln
- Drei Roundtables mit erfahrenen Genossenschaftsgründer*innen und Menschen mit Gründungsabsicht zur Entwicklung transparenter und bedarfsorientierter Entgelt Besprechungs-Kultur
- Mehr Aufmerksamkeit für das Thema in Gründungszentren an Hochschulen – dort sollten frühzeitig faire Modelle vermittelt werden, damit nicht aus Gerechtigkeitsgründen zur UG/GmbH gegriffen wird
- Ein Solidarfonds, der Gründungsarbeit z. B. 12 Monate mit 800 € monatlich unterstützt
- Oder eine öffentlich finanzierte Institution, die Gründende zumindest sozial absichert (z. B. Krankenversicherung)
Ihr habt in eurer Genossenschaft Lösungen gefunden, die ihr als Best Practice teilen wollt oder Austauschbedarf zu dem Thema? Lila und wir vom #GenoDigital-Team freuen uns auf deine Erfahrungen mit dem Thema Gründungskompensation!