Mitbestimmung per Los
So können Mitgliederräte die Mitgliedschaft (re-)aktivieren und beteiligen
In Genossenschaften hat jedes Mitglied die Möglichkeit, sich aktiv einzubringen. In der Realität investiert jedoch häufig nur eine Minderheit ihre Zeit und Energie, während sich der Großteil der Mitglieder eher zurückhält. Wie schafft man es, dass auch diejenigen zu Wort kommen, die normalerweise die schweigende Mehrheit bilden?
Ilan Siebert ist freiberuflicher Organisationsentwickler, Demokratieaktivist und Initiator von esgehtlos.org. Im Community-Call erklärte er anhand von ausgelosten Mitgliederräten, wie Genossenschaften das ungenutzte Potenzial der passiven Mitglieder nutzen können.
»In einer überforderten Gesellschaft ist es für Einzelne schwierig, sich aktiv einzubringen und passive Mitgliedschaften somit normal. Das Losverfahren scheint ein guter Ansatz, um den unterschiedlichen Lebensrealitäten gerecht zu werden.«
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Die Rolle von aktiven und passiven Mitgliedern
Der Begriff "Partizipation" ist für die meisten Menschen positiv konnotiert. Wenn es jedoch um die konkrete Umsetzung geht, sieht es oft anders aus. So werden etwa Mitgliederversammlungen im Verein oder der Genossenschaft oft als notwendiges Übel statt als Möglichkeit für mehr Teilhabe wahrgenommen.
Und so sieht der Status Quo in vielen Organisationen wie folgt aus: Eine überschaubare Zahl an Mitgliedern bringt ihre Ideen und Arbeit ein, die überwältigende Mehrheit wenig bis gar nichts. Und während die aktiven Mitglieder argumentieren, dass es allen freisteht, sich stärker zu engagieren, wirken die vorhandenen Partizipationsmöglichkeiten auf die passiven Mitglieder wenig ansprechend.
Diese Passivität ist jedoch nicht wunderlich, wenn man bedenkt, wie viel uns heutzutage abverlangt wird. Nicht nur fordern uns Beruf, Familie und Freunde. Auch die Anzahl der Themen, über die wir uns vermeintlich auf dem Laufenden halten müssen, ist kaum mehr überschaubar. Währenddessen befindet sich unsere Gesellschaft im Dauerkrisenmodus und die Zukunftsaussichten sehen zunehmend düster aus. Vor diesem Hintergrund klingen Einladungen zu mehr Partizipation eher nach einer zusätzlichen Belastung als einer Chance.
In Organisationen hat die Entkoppelung von aktiven und passiven Mitgliedern zur Folge, dass weniger Wissensaustausch stattfindet und die von den Aktiven beschlossenen Strategien und Maßnahmen kaum mehr Rückhalt bei den restlichen Mitgliedern finden. Für offene Ämter finden sich immer weniger Freiwillige und viel Potenzial innerhalb der Organisation bleibt ungenutzt.
Um all dem zu entgegen, müssen sich Partizipationsangebote an der Lebensrealität der Menschen orientieren: Statt einer offenen Einladung müssen Mitglieder direkt angesprochen werden. Der Aufwand muss überschaubar und die Teilnahme zeitlich begrenzt sein. Die Aufgabe, mit der sich die Mitglieder befassen sollen, muss außerdem klar definiert sein.
Mitgliederräte sehen vor, dass eine geloste Gruppe von 25 bis 40 nicht-aktiven Mitgliedern über ein konkretes Thema der Organisation reflektiert und Empfehlungen an die Mandatsträger entwickelt. Dadurch lernen die Aktiven die Perspektiven der passiven Mitglieder kennen und wie ihre Arbeit von diesen wahrgenommen wird. Im Gegenzug fühlen sich die nicht-aktiven Mitglieder gehört und schöpfen mitunter neues Vertrauen und Motivation. Zudem wird die Vernetzung der Mitglieder untereinander gestärkt.
Mitgliederräte organisieren: So gelingt es
Die Organisation eines Mitgliederrats sieht folgende Schritte vor:
- Die Organisation bespricht intern den genauen Prozess und zeitlichen Ablauf.
- Die Mitglieder werden im Voraus über das Losverfahren informiert.
- Die potenziellen Ratsmitglieder werden ausgelost und aufgesucht.
- Die Versammlung findet in Präsenz oder virtuell statt.
- Die Ergebnisse werden allen Mitgliedern kommuniziert und von den Aktiven führe ihre Arbeit genutzt.
- Im Nachgang werden die Auswirkungen evaluiert.
Das aufsuchende Losverfahren zeichnet sich dabei durch folgende Merkmale aus:
- Die für das Losverfahren genutzte Mitgliederdatenbank wird bei Bedarf im Voraus gewichtet, etwa nach Geschlecht oder Region.
- Es werden etwa 4- bis 5-mal so viele Mitglieder per Brief oder E-Mail angeschrieben wie für den Rat benötigt werden.
- Es werden diejenigen telefonisch kontaktiert, die gar nicht reagiert oder wegen Zeitmangel abgesagt haben. Das Ziel besteht darin, die Teilnahme dennoch zu ermöglichen.
Eine Genossenschaft, die das aufsuchende Losverfahren für Mitgliederräte nutzen möchte, sollte Folgendes mitbringen:
- Mindestens 100 Mitglieder, von denen ein Großteil nicht aktiv in die genossenschaftliche Arbeit eingebunden ist
- Den Wunsch nach einer stärkeren Identifikation der Mitglieder mit der Genossenschaft
- Ein geeignetes Thema, das durch den Mitgliederrat besprochen werden soll
- Genügend Kapazitäten für das aufsuchende Losverfahren per Telefon
- Die Möglichkeit, die Versammlung professionell moderieren zu lassen
So stehen die Chancen gut, dass ausgeloste Mitgliederräte die Partizipation innerhalb der Genossenschaft und den Zusammenhalt der Mitglieder untereinander stärken.
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