Genossenschaften mit gebundenem Vermögen
Kooperative Unternehmen in Verantwortungseigentum
29.08.2024 – Vermögensbindung und Verantwortungseigentum sind Teil einer nachhaltigen und werteorientierten Unternehmensführung, in der die Gewinne einem gemeinwohlorientierten Zweck dienen.
Noah Neitzel, Research Fellow an der Stanford University und Rechtsanwalt bei lindenpartners erläuterte im Community-Call, was es mit diesen beiden Begriffen auf sich hat, während Wolfgang Bender von der Habitat Weine eG und Konrad Bechler von der BECHLER Kollaborationsberatung die Umsetzung im Rahmen einer Genossenschaft am Beispiel eines Weinguts in Gemeinschaftsbesitz greifbar machten.
Noah Neitzel, Wolfgang Bender und Konrad Bechler
»Genossenschaften und Vermögensbindung, it's a match!« (Noah Neitzel)
»Vermögensbindung ist eine sinnvolle und notwendige Option, die im Genossenschaftsrecht fehlt.« (Wolfgang Bender)
»Durch die Vermögensbindung kann neben der Mitgliederförderung glaubhaft ein gemeinwohlorientierter Zweck durch eine Genossenschaft verfolgt werden.« (Konrad Bechler)
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Purpose, Verantwortungseigentum und Vermögensbindung
In der Purpose-Ökonomie sind Unternehmensgewinne kein Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck. Um sicherzustellen, dass ein Unternehmen auch langfristig dem definierten Purpose dient, kann es in Verantwortungseigentum übertragen werden. Dabei handelt es sich um eine spezielle Form des Unternehmereigentums, bei der eine enge Bindung der Gesellschafter:innen und des Vermögens an das Unternehmen vorliegt.
Die Vermögensbindung bedeutet, dass Gewinne nicht an die Gesellschafter:innen ausgeschüttet werden dürfen – auch nicht bei der Liquidation des Unternehmens. Somit gibt es keinen Anreiz, den eigenen Profit zu maximieren.
Die Einführung einer neuen Rechtsform, der Gesellschaft mit gebundenem Vermögen (GmbH-gebV), würde es Unternehmen durch den Schutz des Vermögens vor Ausverkauf und die Förderung langfristiger Verantwortung gegenüber verschiedenen Stakeholdern ermöglichen, nachhaltiger und zweckorientierter zu wirtschaften. Ihre Kernmerkmale wären neben der Vermögensbindung, dass nur natürliche Personen und andere Unternehmen mit gebundenem Vermögen Gesellschafter:innen werden dürfen, sowie eine flexible Governance, die ebenso demokratisch wie hierarchisch gestaltet werden kann.
Ob und wann diese Rechtsform in Deutschland eingeführt wird, ist noch ungewiss. Genossenschaften können aber schon jetzt von der Vermögensbindung als Ergänzung zum gesetzlich verankerten Förderzweck Gebrauch machen, um ihre Purpose-Orientierung zu stärken. Eine Genossenschaft, die das bereits erprobt hat, ist Habitat Weine.
Ein Weingut im Besitz von Natur und Gemeinschaft
Als Purpose-Genossenschaft und Weingut mit gebundenem Vermögen möchte die Habitat Weine eG ihrer Verantwortung gegenüber den eigenen Mitarbeiter:innen und der Kulturlandschaft Weinberg gerecht werden.
Das ursprünglich im Jahr 1918 als Mischbetrieb für Acker- und Weinbau sowie Rebveredelung gegründete Unternehmen wurde ab 2011 in vierter Generation von Wolfgang Bender geführt, bevor 2021 die aufwendige Genossenschaftsgründung mit Vermögensbindung erfolgreich abgeschlossen werden konnte. Nun ist der Winzer hauptamtlicher Vorstand der Genossenschaft in Verantwortungseigentum, die sich vor allem drei Stakeholder-Gruppen verpflichtet sieht:
- Den Mitarbeiter:innen, deren wirtschaftliche Interessen sie fördert
- Den Kund:innen, die hochwertige und nachhaltig produzierte Weine erhalten
- Der Kulturlandschaft Weinberg, die ohne den Einsatz von Herbiziden und Insektiziden bewirtschaftet wird und durch Maßnahmen wie die Bepflanzung mit kleinen Wäldern und der Errichtung von Trockenmauern, Insektenhotels und Grünstreifen in einen ökologisch wertvolleren Zustand zurückversetzt werden soll
Die Mitgliedschaft bei Habitat Weine steht allen offen, die sich mit dem Unternehmensziel identifizieren. Mitbestimmten dürfen jedoch nur die im Betrieb mitarbeitenden Mitglieder – so wird die Genossenschaft dem Aspekt des Verantwortungseigentums gerecht. Wer lediglich Anteile zeichnet, gilt als investierendes Mitglied ohne Stimmrecht, kann jedoch alle anderen Rechte in der Generalversammlung ausüben. Die von den investierenden Mitgliedern gezeichneten Anteile dienen als Eigenkapital, mit dem nicht nur der Weinbau, sondern auch die mit der nachhaltigen Entwicklung der Kulturlandschaft verbundenen Agroforstmaßnahmen finanziert werden.
Die Vermögensbindung wird bei Habitat Weine dadurch gewährleistet, dass die Purpose Stiftung gGmbH ebenfalls Genossenschaftsmitglied ist. Alle Satzungsparagraphen, die das Verantwortungseigentum betreffen, bedürfen der Einstimmigkeit aller Mitglieder und damit auch der Stiftung. So wird effektiv das Vetorecht umgesetzt, das zwar im Verantwortungseigentum, nicht aber in der Genossenschaft vorgesehen ist.
Trotz dieser Hürden eignet sich die Rechtsform Genossenschaft bestens für die Vermögensbindung. Erstens steht die Förderung der Mitglieder statt der Gewinnmaximierung an erster Stelle. Zweitens werden geschäftliche Entscheidungen von allen Mitglieder mit Stimmrecht gemeinsam getroffen. Und drittens gewinnen Anteile an der Genossenschaft nicht an Wert, womit ihrer Kommodifizierung vorgebeugt wird.
Weiterführende Links
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Artikel in der Presse über Wolfgang Bender und die Habitat Weine eG: