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Unternehmens­nachfolge als Genossenschaft

Firmen in den Besitz der Mitarbeitenden geben




14.11.2023 – Deutschlands mittelständische Unternehmen haben ein Problem: Sie finden keine Nachfolge. Dabei gibt es eine Alternative zur Fortführung durch Familienmitglieder und den Verkauf an Dritte: die Übernahme durch die eigene Belegschaft.

In unserem siebten Community Call schilderte uns Tim Weilkiens von der oose eG den Werdegang eines Beratungsunternehmens, das niemals nur einigen Wenigen gehören sollte. Claudia Henke von Platform Cooperatives Germany ergänzte seinen Vortrag, indem sie uns das Konzept des “Workers Buyout” vorstellte.

Sophia Breth von der iteratec nurdemteam eG zeigte uns, wie eine IT-Firma mit 500 Mitarbeitenden über einen Zeitraum von mehreren Jahren in den Besitz der Belegschaft übertragen werden kann.

Julia Kontor und Eugen Friesen von der Wigwam eG sprachen über die Bedeutung von unternehmerischer Verantwortung für selbstorganisierte Unternehmen und welche Strukturen die gleichberechtigte Zusammenarbeit begünstigen.




Tim Weilkiens & Claudia Henke


»Die Genossenschaft passt perfekt zu uns als Selbstorganisation. Wirklich! gemeinsam gestalten und verantworten wir unser Unternehmen.«


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Von der GmbH zur eG

Die oose Innovative Informatik eG ist ein Beratungs- und Trainingsunternehmen mit 40 Angestellten und über 5000 Kunden in aller Welt, das 1998 als GmbH gegründet wurde.

Bereits 2001 erhielt der damalige Geschäftsführer ein lukratives Übernahmeangebot, das er jedoch wegen Bedenken von Seiten der Mitarbeitenden ablehnte. 2006 wurde die Geschäftsführung durch eine Person aus der Belegschaft erweitert, 2010 ein weiteres Mal. Doch noch schien die Verteilung der Verantwortung im Unternehmen nicht der gelebten Realität bei oose zu entsprechen.

2012 strukturierten die Mitarbeitenden das Unternehmen daher nach holokratischen Prinzipien um und arbeiteten fortan selbstorganisiert. Es fehlte nur noch die passende Rechtsform. Schließlich liegen Verantwortung, Risiko und Gewinn in einer GmbH hauptsächlich bei den Gesellschafter*innen, selbst wenn die Entscheidungsmacht auf alle Beteiligten verteilt wird. Nur in einer Genossenschaft sind die Mitarbeitenden zugleich Entscheidungsträger*innen und Inhaber*innen. Somit wurde 2014 die oose eG gegründet.

In deren Satzung ist die Förderung der beruflichen Weiterentwicklung und wirtschaftlichen Tätigkeit der Mitarbeitenden fest verankert. Daneben steht die Zufriedenheit der Kunden an erster Stelle. Um beides miteinander in Einklang zu bringen, verzichtet die oose eG auf Profitmaximierung und strebt stattdessen ein Gewinnniveau an, das dem Unternehmen ein zufriedenstellendes Maß an wirtschaftlicher Unabhängigkeit sichert. Und das scheint zu funktionieren: Selbst in der Pandemie, als die bis dahin nahezu vollständig in Präsenz stattfindenden Workshops ins Digitale verlagert werden mussten, geriet das Beratungshaus nicht ins Wanken, sondern konnte seine Belegschaft sogar noch vergrößern.

Die eigenen Erfahrungen mit der Unternehmensnachfolge als Genossenschaft gibt oose auch in Workshops weiter, bei deren Konzipierung die Platform Cooperatives Germany eG mitwirkte. Dabei griff sie das Konzept des “Workers Buyout” (auch ”Employee Buyout”) auf: Es bezeichnet die Übernahme eines Unternehmens in der Krise durch die Belegschaft, die dieses anschließend wirtschaftlich neu aufstellt. Platform Cooperatives Germany entwickelte dieses Modell in Zusammenarbeit mit italienischen Genossenschaften als Möglichkeit für die reguläre Unternehmensnachfolge weiter.

In naher Zukunft könnte der Workers Buyout auch hierzulande an Relevanz gewinnen: Schätzungsweise 560.000 mittelständische Unternehmen suchen bis Ende 2026 eine Nachfolge – etwa 140.000 davon werden voraussichtlich erfolglos bleiben, sodass ihnen die unfreiwillige Stilllegung droht. Die Rechtsform der Genossenschaft kann hier ein wichtiger Rettungsanker sein.




Sophia Breth


»Die entscheidende Frage ist, wer die Verantwortung am besten übernehmen kann. Unsere klare Antwort: Nur die Mitarbeitenden selbst. In der Genossenschaft können sie die Zukunft des Unternehmens aktiv mitgestalten. Das erhöht die Zufriedenheit und Zustimmung zu strategischen Entscheidungen.«


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Ein Unternehmen mit 300 Inhaber*innen

Iteratec ist eine IT-Dienstleistungsfirma für individuelle Software-Lösungen, die 1996 von den beiden derzeitigen Inhabern gegründet wurde. Die Frage, wer das Unternehmen einmal weiterführen sollte, stellte sie vor ein Problem, denn einen Verkauf an Dritte schlossen sie aus. Die einzigartige Unternehmenskultur sollte schließlich erhalten bleiben, ebenso wie die beruflichen Perspektiven der Belegschaft.

Schließlich wurde deutlich: Nur die Mitarbeitenden würden in der Lage sein, das Unternehmen so weiterzuführen, wie sie es kennengelernt hatten. Somit gründete die Belegschaft die iteratec nurdemteam eG mit dem Ziel, alle Anteile an der weiterhin bestehenden iteratec GmbH nach und nach zu übernehmen.

2019 begann die erste Phase der Übernahme, in der die nurdemteam eG den beiden Inhabern 49 % der Anteile abkaufte. Die zweite Phase startet voraussichtlich 2027 – die Genossenschaft erhält dann die restlichen 51 % und damit die volle Kontrolle über die GmbH.

Finanziert wird die Übernahme durch ein Darlehen der Gründer, das die eG Stück für Stück mit Gewinnausschüttungen der GmbH zurückzahlt. Die Gründer selbst verzichten auf ihren Anteil.

Jeder Mitarbeitende der iteratec GmbH kann (muss aber nicht) Mitglied bei der nurdemteam eG werden. Diese Möglichkeit erfreut sich größter Beliebtheit: Von den 500 Mitarbeitenden sind bereits 300 der Genossenschaft beigetreten. Dabei liegt es im Interesse des Unternehmens, diese Zahl zu maximieren, um eine demokratische Basis für zukünftige Geschäftsentscheidungen zu schaffen.

In den ersten Jahren nach der Gründung der iteratec nurdemteam eG bildeten vor allem organisatorische Fragen den Mittelpunkt der genossenschaftlichen Arbeit. Diese sind nun aber weitestgehend geklärt, sodass Zukunftsperspektiven verstärkt in den Fokus rücken: Was soll beispielsweise mit den Gewinnausschüttungen der GmbH geschehen, sobald das Darlehen für die Übernahme zurückgezahlt wurde? Die Antworten auf Fragen wie diese arbeitet das iteratec-Team gemeinschaftlich aus.




Julia Kontor & Eugen Friesen


»Die Arbeit in einer Genossenschaft ist für mich vieles: herausfordernd, lehrreich, leidenschaftlich, irgendwie besonders und inzwischen doch total normal.«
»Die eG ist das beste Demokratie-Fitnessprogramm für Unternehmen!«


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Verantwortung auf viele Schultern verteilen

Die Wigwam eG bezeichnet sich selbst als Kommunikationsagentur für Menschen und Organisationen, die den gesellschaftlichen Wandel gestalten wollen. Dabei liegt der Fokus auf visuellem Design, Kampagnenkonzeptionierung und Organisationsberatung. 2009 wurde das Unternehmen als GmbH gegründet, 2016 folgte die Umwandlung zur Genossenschaft.

Ebenso wie oose arbeitet Wigwam selbstorganisiert. Während die genossenschaftlichen Organe die operativen und strategischen Entscheidungen übernehmen, kümmern sich verschiedene Arbeitskreise um Organisatorisches und Projektgruppen um die Umsetzung der Kundenaufträge.

Es war diese Arbeitskultur, die den Anstoß gab, nach einer geeigneteren Rechtsform als der GmbH zu suchen. Die Genossenschaft versprach dabei die größte Übereinstimmung mit den Werten, die Wigwam in der Arbeit mit den Kunden und intern lebte.

Doch die Rechtsform der eG allein war noch kein Garant für ein gleichberechtigtes Miteinander. Dieses mussten die Mitarbeitenden weiterhin kultivieren und dabei noch mehr als zuvor auf Transparenz setzen. Auch stellte sich heraus, dass sich das Haftungsrisiko in der Genossenschaft bei einigen wenigen Personen konzentrierte. Um die unternehmerische Verantwortung gleichmäßig auf allen Schultern zu verteilen, schlossen die Mitglieder daher Binnenverträge untereinander ab. Das vereinfachte auch den Wechsel in Rollen mit höherer Verantwortung, bei denen das finanzielle Risiko zuvor abschreckend wirken konnte. Aus dieser engen Verflechtung heraus ist eine Organisationsform entstanden, die sich durch ein Höchstmaß an Resilienz auszeichnet.




Weiterführende Links

Mehr zu den vorgestellten Nachfolge-Cases

Beratungsangebote für die Umwandlung in eine Genossenschaft

Erfahrungsberichte anderer Genossenschaften

Mehr zum Workers Buyout








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