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Vier Typen und Porträts innovativer Genossenschaften




Genossenschaften sind Zusammenschlüsse von Menschen oder Unternehmen, die gemeinsam wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Interessen verfolgen. Sie sind demokratisch organisiert und durch ihre Mitgliederförderung und -mitbestimmung oft krisenfester und gemeinwohlorientierter als Unternehmen mit anderen Rechtsformen. Genossenschaften bergen daher großes Potenzial für unternehmerische Kooperationen und die Lösung von gesellschaftlichen Herausforderungen. Du findest in allen Branchen Genossenschaften jeder Größe, die lokal oder global tätig sind. In Deutschland haben Genossenschaften eine über 175 Jahre lange Tradition. Aktuell gibt es hierzulande ca. 7.800 Genossenschaften.

Eines haben alle Genossenschaften gemeinsam: Sie gehören ihren Mitgliedern, die wiederum die genossenschaftlichen Leistungen empfangen. In welcher Beziehung zum Unternehmen die Mitglieder stehen, kann jedoch sehr unterschiedlich sein. Die folgende (nicht wissenschaftliche) Unterteilung in vier Genossenschaftstypen kann daher nützlich für die eigene Genossenschaftsgründung sein:

  • Worker-Coops
  • Community-Coops
  • Multi-Stakeholder-Coops
  • Platform-Coops

Im Folgenden stellen wir dir die vier Typen anhand jeweils einer innovativen Genossenschaft vor, erläutern, warum sie sich als Gründer:innen für die Genossenschaft als Rechtsform entschieden haben und wie ihr Geschäftsmodell funktioniert.

Worker-Coop

Bei einer Genossenschaft, deren Mitglieder primär die Mitarbeitenden des Unternehmens sind, handelt es sich um eine Worker-Coop. Das heißt, die Mitarbeitenden sind auch Eigentümer:innen des Unternehmens und haben ein Stimmrecht bei allen zentralen Grundsatzentscheidungen wie der strategischen Ausrichtung des Unternehmens, der Verwendung von Gewinnen und der Wahl und Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat. Das stärkt die Übernahme von Verantwortung und Identifikation mit dem Unternehmen, bindet die eigenen Mitarbeitenden und steigert die Arbeitgeberattraktivität.

Handwerksbetriebe, Einzelhandelsunternehmen und Agenturen sind besonders populäre Beispiele für das Modell der Worker-Coop. Mit über 70.000 Mitarbeitenden ist Mondragon der größte Zusammenschluss von Worker-Coops der Welt.

Fallbeispiel Worker-Coop: Wigwam eG

Die Wigwam eG mit Sitz in Berlin ist eine Kommunikationsagentur für Menschen und Organisationen, die den gesellschaftlichen Wandel mitgestalten wollen. Ihr Fokus liegt auf visuellem Design, Kampagnenentwicklung und Organisationsberatung.

Gegründet wurde das Unternehmen 2009 als GmbH. 2016 folgte die Umwandlung zur Genossenschaft.

Gründungsidee: Warum Genossenschaft?

Das Wigwam-Team arbeitete von Beginn an selbstorganisiert – und das mit Erfolg. So kam die Frage auf, ob nicht vielleicht eine andere Rechtsform als die GmbH besser dazu geeignet sei, der besonderen Unternehmenskultur gerecht zu werden. Schnell stellte das Team fest, dass die Genossenschaft sich am ehesten mit den Werten deckte, die Wigwam intern und in der Arbeit mit anderen Organisationen lebte.

Zwei weitere Aspekte spielten bei der Entscheidung für die Rechtsform Genossenschaft eine besondere Rolle: Zum einen sollte die Besetzung der Führungsrollen Vorstand und Aufsichtsrat durch Wahlen klar geregelt werden. Zum anderen sollten der Erwerb und die Kündigung von Gesellschaftsanteilen einfach umzusetzen sein. Die Genossenschaft bietet die rechtlichen Grundlagen dafür, den Umgang mit Generations- oder Führungswechseln, Wertsteigerungen, Geschäftsrisiken und der Gewinnverwendung fair zu gestalten.

Geschäftsmodell: Wie funktioniert die Genossenschaft?

Als Worker-Coop funktioniert die Wigwam eG im Alltag ganz ähnlich wie herkömmliche Agenturen – mit dem Unterschied, dass das Unternehmen allein den Mitarbeitenden gehört. Während die genossenschaftlichen Organe die operativen und strategischen Entscheidungen übernehmen, kümmern sich verschiedene Arbeitskreise um Organisatorisches und Projektgruppen um die Umsetzung der Kundenaufträge.

Die ordentliche Mitgliedschaft können nur Angestellte und der Genossenschaft besonders nahestehende Personen erwerben. Jedoch steht es allen frei, investierendes Mitglied zu werden, wenn auch ohne aktives Wahlrecht bei Generalversammlungen. In der Praxis zeigt sich, dass neue Mitarbeitende meist nach der Probezeit die Mitgliedschaft in der Genossenschaft beantragen und damit ihr Stimmrecht in der Generalversammlung erhalten.

Community-Coop

Als Community-Coop versteht man eine Genossenschaft, deren Mitglieder mehrheitlich direkt von den Produkten oder Dienstleistungen der Genossenschaft profitieren und die Genossenschaft sich als eine Community versteht.

Ich manchen Fällen ist das Wort “Community” besonders hervorzuheben – etwa wenn sich die Bewohner:innen einer Ortschaft zusammentun, um ihren Dorfladen oder -kneipe zu retten. Oder wenn eine Genossenschaft sozial ausgegrenzten Menschen dabei hilft, wieder Fuß zu fassen.

Fallbeispiel Community-Coop: Krautreporter eG

Krautreporter ist ein Online-Magazin, das sich allein durch seine Mitglieder finanziert. So ist es journalistisch unabhängig und kann auf Werbeerlöse verzichten. Der Fokus liegt auf sorgfältig recherchierten Reportagen statt auf tagesaktuellen Nachrichten.

Das Magazin erscheint seit 2014 und hat seinen Sitz in Berlin.

Gründungsidee: Warum Genossenschaft?

2012 ging Krautreporter als Crowdfunding-Plattform für journalistische Projekte an den Start. Nach zahlreichen erfolgreich finanzierten Projekten sollte es ein eigenes Krautreporter-Magazin geben, wofür das Gründungsteam 900.000 Euro von mehr als 18.000 Abonnent:innen einsammelte, um das erste Jahr zu finanzieren. Als die Finanzierung für die weiteren Jahre auf der Kippe stand, wandelte sich das Unternehmen von einer GmbH in eine Genossenschaft um, die seitdem durch ihre inzwischen mehr als 560 Mitglieder finanziert wird.

Geschäftsmodell: Wie funktioniert die Genossenschaft?

Die Rechtsform Genossenschaft ermöglicht es denjenigen Krautreporter-Abonnent:innen, die auch Mitglieder der Genossenschaft sind, bei unternehmerischen und strategischen Entscheidungen gleichberechtigt mitzubestimmen. Durch ihren finanziellen Beitrag zum Eigenkapital der Genossenschaft ermöglichen sie unabhängigen und werbefreien Journalismus, der allen Mitgliedern zugutekommt. Eine wachsende Mitgliederzahl ermöglicht zudem größere Investitionen in das Unternehmen.

Da sich Krautreporter aus Genossenschaftsanteilen und Abonnementzahlungen finanziert, kann das Redaktionsteam sowohl auf herkömmliche Werbeanzeigen als auch auf Advertorials verzichten. Nicht-Abonnent:innen haben – mit Ausnahme einiger weniger Artikel – keinen Zugriff auf die Magazin-Inhalte.

Multi-Stakeholder-Coop

Bei einer Multi-Stakeholder-Coop stammen die Mitglieder aus zwei oder mehr unterschiedlichen Personenkreisen, d. h. die Genossenschaft fördert die Belange mehrerer Zielgruppen gleichzeitig. Oft handelt es sich hierbei um eine Mischform der Worker- und Community-Coop, etwa wenn ein genossenschaftlich organisierter Supermarkt einige seiner Mitglieder im Laden beschäftigt, während die restlichen Mitglieder die genossenschaftlichen Leistungen als Konsument:innen in Anspruch nehmen.

Komplexere Multi-Stakeholder-Coops können beispielsweise aus Mitarbeitenden, Kund:innen, Produzent:innen, Zuliefer:innen, Großhändler:innen, Investor:innen, privaten und staatlichen Institutionen bestehen.

Fallbeispiel Multi-Stakeholder-Coop: SMartDe eG

Die Smart Genossenschaft richtet sich vornehmlich an Solo-Selbstständige und Kollektive und ermöglicht es ihren Mitgliedern, sich bei der Genossenschaft anstellen zu lassen und Kundenaufträge über diese abzurechnen. So können auch Freischaffende von den Vorteilen der gesetzlichen Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung sowie weiteren Vorzügen, die normalerweise Festangestellten vorbehalten sind, profitieren. Die Genossenschaft zahlt ihren Mitgliedern ein zuvor anhand des zu erwartenden Auftragsvolumens festgelegtes monatliches Gehalt und kümmert sich zudem um die Abführung von Sozialabgaben und Lohnsteuer sowie den Versand von Zahlungserinnerungen.

Das Konzept stammt ursprünglich aus Belgien und hat sich inzwischen in zahlreichen Ländern etabliert. Das europäische Smart-Netzwerk zählt bereits über 100.000 Mitglieder.

Gründungsidee: Warum Genossenschaft?

Als Multi-Stakeholder-Coop zählt die Smart eG verschiedenste Interessengruppen zu ihren Mitgliedern. Neben den Selbstständigen sind das Mitarbeitende, die für die Mitgliederbetreuung und die geschäftlichen Abläufe zuständig sind, Kund:innen, die über Smart Aufträge vergeben, unterstützende Organisationen wie Platform Cooperatives Germany und die belgische Smart-Kooperative.

Nur dank der Rechtsform Genossenschaft ist es möglich, Selbstständigen und Kollektiven einen einfachen Zugang zur Mitgliedschaft zu ermöglichen und sie rechtssicher anzustellen. Diese sind gleichzeitig Miteigentümer:innen des Unternehmens und können so die konkrete Ausgestaltung des Förderzwecks beeinflussen.

Geschäftsmodell: Wie funktioniert die Genossenschaft?

Beim Eintritt in die Genossenschaft zeichnen Mitglieder mindestens einen Genossenschaftsanteil in Höhe von 50 Euro. Ein Mitgliedsbeitrag wird nicht erhoben.

Von jedem über Smart abgerechneten Auftrag behält die Genossenschaft 9 % des Netto-Rechnungsbetrags ein. Damit werden zum einen die Verwaltungskosten und die Weiterentwicklung der von Smart angebotenen Dienstleistungen finanziert und zum anderen Zahlungsausfälle von Kund:innen aufgefangen. Letzteres dient dazu, den über die Genossenschaft angestellten Selbstständigen auch bei auftragsbedingten Komplikationen weiterhin ein festes Gehalt zahlen zu können.

Platform-Coop

Platform-Coops sind als relativ junge Ausprägung der genossenschaftlichen Rechtsform eine Antwort auf digitale Plattformen wie Uber, Airbnb und Lieferando. Platform-Coops organisieren sich im Wesentlichen um ein digitales Geschäftsmodell herum.

In der genossenschaftlichen Variante liegt die Kontrolle über die jeweilige Plattform bei denjenigen, die darüber Leistungen anbieten oder nutzen. So können die Fahrer:innen eines Lieferdienstes beispielsweise selbst die grundsätzlichen Angebotskonditionen bestimmen und darüber entscheiden, welcher Anteil am Unternehmensgewinn an sie ausgezahlt wird und wie viel in die Weiterentwicklung der digitalen Plattform fließen soll. Damit wirken Platform-Coops den weniger wünschenswerten Auswüchsen der Gig Economy entgegen, indem die Beteiligten selbst für ihre Arbeitsbedingungen verantwortlich sind und die Software kontrollieren, die ihre Arbeit steuert und bewertet.

Fallbeispiel Platform-Coop: haqoo

Auf internationaler Ebene hat die “Platform Cooperativism”-Bewegung bereits Vorreiter wie Fairbnb und The Drivers Cooperative hervorgebracht. Deutschland zählt hingegen noch nicht viele Platform-Coops – doch das könnte sich bald ändern.

Auf den Namen haqoo hört eine von der oose eG und Platform Cooperatives Germany entwickelte Antwort auf kommerzielle Lernplattformen. Sie soll die Beteiligung aller Lehrenden und Lernenden ermöglichen.

Gründungsidee: Warum Genossenschaft?

In den letzten Jahren haben digitale Lernplattformen enormen Zulauf gefunden. Leider liegt deren Kontrolle allzu oft in der Hand von Investor:innen – die Lehrenden tragen lediglich die Inhalte bei, während die Lernenden diese konsumieren.

Bei haqoo hingegen sollen es eben diese beiden Personengruppen sein, die über die Ausrichtung der Plattform entscheiden und so sicherstellen, dass Lehrende hochwertige und an den Bedürfnissen der Lernenden ausgerichtete Lerninhalte bereitstellen können. Als Platform-Coop ist haqoo unverkäuflich und vertritt die Interessen aller Nutzer:innen. Das Lernen wird nicht durch kommerzielle Interessen gesteuert und die eigenen Daten sind sicher und lebenslang verfügbar.

Geschäftsmodell: Wie funktioniert die Genossenschaft?

Finanzieren soll sich haqoo dadurch, dass in kleinen Schritten wirtschaftlich tragfähige Services entwickelt werden, mit denen die Plattform schrittweise wächst. Bei Bedarf geben beteiligte Unternehmen faire Kredite.

Der Förderzweck soll sowohl für Lernende als auch Lehrende mithilfe von speziell an deren Bedürfnisse angepassten Leistungen erfüllt werden. Für Lernende steht ein möglichst kostengünstiger Zugang zur Plattform und der Genossenschaft im Mittelpunkt, sodass wirklich alle von den Lernangeboten profitieren können.